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LA MIRANDE

von Dina von Boch - 4 Jul, 2018

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Eine deutsche Familie hat aus dem historischen Stadtpalais Pamard in Avignon eines der schönsten Hotels Frankreichs gemacht

Die Fassade verrät nur wenig. Doch wenn man über die Schwelle des Hauses hinter dem Papstpalast tritt und im Patio steht, befindet man sich plötzlich in einer anderen Welt. Wird Figur eines Romans. Schauspieler eines Films. Held eines Bühnenstücks, das hier jeden Tag neu inszeniert wird und das heißt: Leben im schönsten Hotel Europas. Gerade sitzt ein alter englischer Lord hinter einer Palme und lässt sich von einer Gewürzhändlerin aus Bordeaux von ihren Reisen nach Pondichery erzählen. Rosa, die Hausdame, legt derweil eine frischgestärkte Tischdecke über das Büfett und aus dem Restaurant im Kardinalsturm erklingt das Klirren von Champagnergläsern.
 

Mittelpunkt des Hauses ist der glasüberdachte Patio, in dem Gäste zu jeder Tageszeit Tee trinken, Kuchen essen, Zeitung lesen und Briefe schreiben können. Die Werke des bekannten Malers Georges Ferrato geben dem historischen Raum eine zeitgenössische Note. Hinter den zum Innenhof geöffneten Fenstern liegen das Restaurant und die intime Bar, die gerade im Winter Schutz gegen den Mistralwind bietet.
 

Wenn man ganz frei eine ideale Lebensform wählen könnte, so müsste sie heißen: Leben im Mirande. Denn in diesem Hotel ist alles anders, mühelos, poetisch – und vor allem altmodisch. Man fühlt sich als Gast so ganz und gar nicht wie in einem Hotel, in dem alles auf Effizienz und Rentabilität ausgelegt ist: Die luxuriöse Einrichtung allein der Zimmer ist der Alptraum jeder Putzfrau. Auch die Rosen sind keine praktischen anämischen Treibhausgewächse, sondern wild duftende, dornenreiche Exemplare aus dem Garten. Auch das Essen ist das Gegenteil von stromlinienförmigem 
Hotelfutter, sei dieses auch noch so raffiniert: Im Mirande gibt es zum Frühstück frische Marmeladen aus großen Gläsern, buttertriefende Croissants und köstliche kleine Kuchen, die schmecken wie aus der Küche der französischen Großmutter, die man leider nicht hat. Im hauseigenen Sternerestaurant bekommt man Gemüsesalate serviert, die aussehen wie Archimboldo-Bilder. Und wenn man es lieber deftiger mag, steigt man runter in die alte Palastküche, um an einer langen Holztafel einen sieben Stunden lang geschmorten Lammbraten zu essen und bei einer Flasche Châteauneuf-du-Pape mit dem Koch über die Zucht von Trüffelhunden zu reden. Schließlich gibt es sogar Gäste, die von der berühmten Festivalstadt Avignon kaum etwas sehen, weil sie vollkommen damit beschäftigt sind, die Stoffmuster, Tapeten und Türklinken ihrer Umgebung zu bestaunen. Die Stadt Avignon verdankt dieses Monument des guten Geschmacks einer kunstsinnigen deutschen Globetrotter­familie. Achim und Hannelore Stein suchten Ende der achtziger Jahre ein Privathaus im Süden – und fanden sich nach einem Coup de Foudre in diesem riesigen Stadtpalais wieder. „Wir wollten nach beruflichen Wanderjahren eigentlich ein kleineres Haus für uns erwerben, fanden auf der Suche eines Tages dieses Anwesen – und es hat uns nicht mehr losgelassen. Wir waren so verrückt, es zu kaufen, aber da es zu groß war, haben wir als totale Laien beschlossen, ein Hotel daraus zu machen“, sagt Hannelore Stein, die an diesem Morgen im Patio steht und mit Hingabe Blumen auf dem langen Holztisch arrangiert. „Wir hatten keine Ahnung, wie schwierig das ist!“
 

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Jadegrüne Eleganz im Zeichen des Papageien. Asiatisch inspiriert ist diese Serie wertvoller Keramik, die Funktion und Ästhetik auf das Schönste verbindet.
 

Unterstützt von Sohn Martin machte sich die Familie da­ran, das ehemalige Privathaus der Patrizierfamilie Pamard zu einem Hotel umzubauen. Martin Stein, der als Sohn eines international tätigen Vaters 13 Mal die Schule wechseln musste und dann in Siena Medizin studiert hatte, war auf diese anspruchsvolle Aufgabe weder durch eine Ausbildung an einer Hotelfachschule oder einer Business School vorbereitet. Seine Qualifikation lag vielmehr in einer hohen ästhetischen Schulung von Augen und Geist, der Liebe zu Kultur und Möbeln, im Sinn für äußerste handwerkliche Qualität. „Während meiner Studienjahre in der Toskana hat mich die Schönheit der dortigen Häuser fasziniert und dort hat meine Liebe zu alten Steinen ihren Anfang genommen“, erklärt er. So war die Idee seiner Eltern, in Avignon zu investieren und zu leben auch eine willkommene Herausforderung für ihn. Martin Stein stürzte sich mit Hingabe in das risikoreiche Bauprojekt. „Natürlich waren wir etwas naiv und haben keine Marktstudien oder so etwas gemacht“, sagt Stein. Doch die Familie hatte das Glück, mit einem sehr guten, später berühmt gewordenen Innenarchitekten arbeiten zu können: dem Einrichter François-Joseph Graf, der mittlerweile zum Lieblingsarchitekt der Pariser Society avanciert ist. Er sah im Mirande sofort ein Traumprojekt und war Feuer und Flamme, an diesem exponierten Ort in der Stadt Avignon im großen Stil arbeiten zu können. Schließlich wurde der Umbau aber ohne ihn fertiggestellt, da die Umsetzung seiner Pläne das Stein‘sche Budget gesprengt hätte. „Da hieß es: aufgeben oder sich selbst durchboxen“, erinnert sich der Hotelchef. Steins gingen in den Ring. Sohn Martin streifte durch die schönsten Privathäuser der Stadt, kopierte die Muster von Boiserien und Simsen millimetergenau und ließ sie in alter Handwerkstradition in seinem Haus neu gestalten. Er zeichnete die Ausführungspläne mit Hilfe eines Bekannten fertig, plante Profile, instruierte lokale Schreiner und Maler, kaufte alte Steinböden bei Spezialhändlern und für die Scheiben in den großen Flügeltüren und Fenstern suchte er altes unregelmäßiges Glas, über dessen Oberfläche ein Windhauch gepustet zu haben scheint. „Es ist dünn und lebt – ein Industrieglas hätte die Atmosphäre zerstört“, erklärt Martin Stein. Bei allem war ihm nur das Beste gut genug. „Wir wollten keine Kompromisse machen, über die man sich irgendwann ärgern würde“, sagt er. „Keine falschen nachher aufgeklebten Leisten oder Pseudoboiserien!“ Stein schaffte es sogar, fast unmerklich Fernsehschirme in Spiegel einzulassen und so dem Gast den störenden Anblick einer technischen Massenware zu ersparen ...
 

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„Letztlich haben wir ein privates Palais neu erdacht und dem Haus die innere Struktur zurückgegeben, wie sie im 17. und 18. Jahrhundert wohl geplant war“, sagt er. Die meisterhaft komponierte Harmonie von Stoffen, Böden und Wänden macht das Mirande zu einem Traumort für Ästheten. Hier im Durchgang zum Salon korrespondiert das Muster des Zementkachelbodens mit dem Stoff von Stuhl und Vorhang.
 

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Zusammenfassung aus der "Living 04/2007" - Sie möchten die ganze Zeitschrift lesen? Kontaktieren Sie uns gerne >>HIER!

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