Magazin

DIE DUFTHOHEIT

von Dina von Boch - 1 Aug, 2018

dufthoheit

$PreviewBreak$PreviewBreak

Zu Besuch im Atelier von Jean-Claude Ellena – dem Parfümeur des französischen Luxushauses HERMÈS

Jean-Claude Ellena, in ein steifes blütenweißes Hemd gekleidet, sitzt in seinem Glashaus oberhalb von Grasse und blickt in den nahen Pinienhain. Er schließt langsam die 
Augen. Riecht an einem papiernen Duftstreifen. Blickt dann wieder in den schier endlosen Garten, an dessen Ende das Meer schimmert. „Nein, das ist es noch nicht“, sagt er und geht langsam auf die Terrasse hinaus, nachdenklich und konzentriert. Bleibt stehen und denkt weiter. Er ist einem neuen Parfüm auf der Spur, das die feine Kollektion des 
Pariser Luxuskonzerns Hermès um einen Duft, einen Bestseller hoffentlich, erweitern soll. „Ich möchte etwas ganz Neues mit Lavendel machen, aber mehr kann ich noch nicht dazu sagen“, verrät er lediglich. Spitzenparfüms zu 
erfinden – das ist ein mühsamer, ein langsamer, ein 
rätselhafter Prozess. Und das Ergebnis ist bis zur feierlichen Präsentation von ebenso vielen Geheimnissen umgeben 
wie der Code der französischen Atomraketen.
 

natur-duft-inspiration

Zwei Tage lang dürfen wir Gäste von Jean-Claude Ellena in seinem Arbeitshaus in Cabris sein, einer Art Einsiedelei weit entfernt von der Hauptstadt Paris. Der 60-jährige Franzose entwickelt seine Kreationen in diesem Kubusbau aus Glas und rohem Stein inmitten eines mediterranen Gartens. Der ideale Ort für einen Poeten, der nicht in Worten, sondern in Düften denkt, der Zeit und Raum und Luft für seine Fantasien braucht. Zwei Tage in aller Ruhe, das ist ein Luxus in Zeiten der globalisierten Gesellschaft, in der ein Mann wie Ellena, ein Star der Branche, auf allen Kontinenten gefragt ist. „Ich nehme mir bewusst die Freiheit, hier zu arbeiten und meine Zeit so einzuteilen wie ich möchte“, sagt er. 
„Ich bin Hausparfümeur von Hermès geworden, weil in dieser Firma Handwerker und Künstler geschätzt werden und ihr Wort mehr zählt als das der Kollegen im Marketing! Wenn ich wollte, könnte ich einen Monat verschwinden – aber natürlich erwartet man in Paris von mir, dass ich mit einem guten Duft wiederkomme.“ Und fügt so ehrlich 
hinzu, wie es nur ein sehr selbstsicherer Mann tun kann: „Diese Freiheit kann eine große Last sein.“ Es war ein Wagnis, als der Südfranzose im Jahr 2004 einwillgte, fest angestellter Parfümeur von Hermès zu werden, einer Firma, die keinem Multimarkenkonzern gehört und die seit sechs Generationen im Familienbesitz ist. Außer mit Jacques Polges bei Chanel leistet sich kein Unternehmen mehr einen exklusiven Parfümeur, der die Produktfamilie versteht und sie um miteinander verwandte, emblematische Düfte erweitert. Meist arbeiten Duftkreateure als freie Mitarbeiter an Entwicklungen und erfinden im Laufe ihres Lebens Mischungen für viele verschiedene Unternehmen. Denn das Risiko ist für beide Seiten hoch. Ein Unternehmen macht sich abhängig von einem einzigen Mann; der Parfümeur arbeitet in schwindelerregender Höhe, allein, mit dem Druck, geniale Ideen zu entwickeln, die mehrere Jahrzehnte Bestand haben werden. Bei der Flut an jährlichen Neuerscheinungen, von denen die meisten bald wieder in der Versenkung verschwinden, ist das eine Herausforderung, die nur wenige Menschen annehmen können.
 

charon-ring-brigitte-von-boch

Ein Blickfang der Extraklasse. Eine ausdrucksstarke Scheibe wurde bei Ring „Charon“ kunstvoll mit einem aufwendigen Lochmuster sowie filigranen Verzierungen bearbeitet. Mittig erhebt sich kuppelförmig eine Schar geschliffener türkisfarbener Glassteine, die Ring „Charon“ zu einem modischen Statement machen!
 

Wenn man in einer Parfümerie steht und Ellenas Kreationen „Un jardin en Méditerranée“ (2003) „Un jardin sur le Nil“ (2005) oder „Terre d’Hermès“ (2006) in ihren glänzenden Packungen sieht, kann man sich nicht im Geringsten vorstellen, wie kompliziert der Weg von einer Duftidee bis zum fertigen Produkt ist. „Manche Ideen trage ich schon seit Jahrzehnten mit mir herum, bevor ich auf einmal eine Lösung finde, andere wurden innerhalb weniger Monate entwickelt“, verrät der Meister, der in allen Dingen des Lebens die Perfektion sucht. Denn die Parfüms von Hermès sind keine schnell auf den Markt geworfenen Industriemischungen. Sie müssen sich nicht nur an den hauseigenen Klassikern wie „Calèche“ messen lassen, sondern auch an der zeitlos ästhetischen Qualität eines Kelly-Bags, an der Tradition der handgemachten Sattel – einfach an dem im Hexagon umunstrittenen Anspruch, dass Hermès zum kulturellen Nationalerbe Frankreichs gehört. Seine Kreationen sollen Geschichte machen, zeitlose Klassiker werden – und natürlich auch Umsatzbringer sein. Das versteht sich in dem erfolgsverwöhnten Unternehmen von selbst. Der Südfranzose Ellena hat eine klassische Parfümeurs­karriere hinter sich. „Ich war so ein schlechter Schüler, dass ich meine Eltern zur Verzweiflung gebracht habe“, sagt er mit seinem ansteckenden Lachen, das aus einem kultivierten Herrn einen verschmitzten bodenständigen Provençalen wie aus einem Pagnol-Film macht. Er begann seine Laufbahn mit 17 Jahren in einem Labor in Grasse, besuchte eine Parfümeursschule in Genf. Später gründete er mit Freunden in Grasse eine eigene Firma, für die er als Theoretiker neue Parfümphilosophien entwickelte. „Wir wollten zeigen, dass man mit reduzierten Mitteln, so wie die Bauhaus-Architekten, wunderbare Ergebnisse erzielen kann“, erinnert er sich. Doch Ellena blieb kein Theoretiker. Er arbeitete in 
den USA und in Paris für die Duftgiganten Givaudan und Symrise, entwickelte Düfte für L’Oréal und Yves Rocher. Mit dem Parfüm „First“ für van Cleef & Arpels im Jahr 1976 gelang ihm der Durchbruch. Weitere Meilensteine seiner Karriere war das mit grünem Tee konstruierte 
„Eau Parfumée“ für Bulgari und „Déclaration“ für Cartier. Über die heutige Chefin von Hermès-Parfums, Véronique Gautier, fand er zu seiner jetzigen Aufgabe – man kannte und vertraute sich. Im Jahr 2002 entwickelte er den ersten Duft der neuen Gartenserie: „Un jardin en Méditerranée“, inspiriert vom tunesischen Garten der Hermès-Dekorateurin Leila Menchari in Hammamet. Er fing darin Feige, Zedernholz und Bergamotte wie Impressionen aus Licht und Schatten in aller Klarheit ein, ein neuer Klassiker war geboren.
 

parfum-geruchssinn-entspannung

Ellena kreiert heute zwei Düfte pro Jahr. Er entwickelt Produkte für das breite Publikum wie „Eau des Merveilles“, führt die Jardin-Reihe fort, die im Jahr 2008 um ein weiteres Parfüm erweitert werden soll – und schließlich hat er in der exklusiven „Hermessence“-Kollektion totale künstlerische Freiheit. Diese kleine Edition gibt es nur in einigen Hermès-Boutiquen zu kaufen. „Poèmes olfactifs“, duftende Gedichte, nennt er diese betörenden Kreationen, die auf dem bisweilen oberflächlich glitzernden Parfümmarkt 
wahre Edelsteine sind. „Rose Ikebana“ duftet wie ein zartes Rosenblatt, das mit einem Rhabarbersorbet kombiniert ist. Im sinnlichen Duft „Ambre Narguilé“ wird Honigamber mit hellem Tabak kombiniert, in „Vetiver Tonka“ kräftiger Vetiver mit Haselnuss umschmeichelt, „Poivre Samarcande“ erstaunt mit Pfefferduft und dem Geruch nach süßem Holz. „Diese Reihe habe ich hier in meinem offenen Gartenatelier entwickelt, mit einem offenen Geist!“, betont er. Der Arbeitsalltag des Parfümeurs folgt seinem ganz persönlichen Rhythmus: Phasen der Inspiration durch Bücher und Begegnungen mit der Natur wechseln sich ab mit 
der bewussten Analyse chemischer Zusammensetzungen. 
„Mich inspirieren manchmal auch spontane Diskussionen mit Köchen, wenn wir über Düfte, Farben und Gerichte sprechen. Köche können wie Maler verstehen, dass ich mir über interessante Kreuzungen wie dem Duft nach Haut und Trüffeln, Rose und Rhabarber, Licht und Schatten, Durchsichtigkeit und Dunkel Gedanken mache.“ Zurück in seinem Atelier schreibt er dann seine Ideen für die 
Kombination von Molekülstrukturen auf: auf einen mit dem Hermès-Logo versehenen Rezeptbogen, nach dessen Angaben seine Assitentin Anne Maynard im kleinen Labor nebenan die ersten Proben für ihn vorbereitet. Denn wie ein großer Koch rührt Monsieur Ellena die Duft­elixiere nicht selbst an, sondern entwirft ihre Formeln. Viele 
werden verworfen, geändert, reduziert, bevor aus einer Idee ein Produkt wird ...
 

dufthoheit-inhalt

Zusammenfassung aus der "Living 04/2007" - Sie möchten die ganze Zeitschrift lesen? Kontaktieren Sie uns gerne >>HIER!

Kategorien