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Unter deutschen Dächern

von Dina von Boch - 15 Nov, 2017

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Lammfell & Leder

Lammfellmode von Christ ist weltweit führend – dahinter stehen die Werte einer Familie aus dem Hunsrück
 

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Feinstes Ziegenvelours in den Farben der Saison. Bevor man bei Christ in Gondershausen mit der weiteren Verarbeitung beginnt, werden die einzelnen Häute auf Holzböcken glatt gestrichen. Die Ziege eignet sich dank ihrer Festigkeit für die dünnsten Häute, die im Stammsitz von Christ im Hunsrück zu leichter Bekleidung vernäht werden. 1954 begann hier die Geschichte einer weltweit führenden Marke.
 

Schabbach ist überall – zumindest im Hunsrück. Kleine Dörfer mit geduckten Häusern und hölzernen Scheunen; Dächer und Mauern, die noch mit Schiefer verkleidet sind. Viel Wald, viel Land, viel Leere; über die seit dem Wegzug der Amerikaner vom Airport Frankfurt-Hahn die Billigflieger von Ryanair donnern. Auch Gondershausen ist ein kleines Schabbach, so der Name des fiktiven Ortes im Hunsrück, den Edgar Reitz mit der schier endlosen Fernsehserie „Heimat“ bekannt gemacht hat. Sein filmischer Einblick in ganz normale deutsche Biografien geniesst längst Kult­status unter Cineasten, so mancher Zuschauer bereiste deshalb extra die immer noch arme Region im Westen, hoch über dem Rheintal. „Heimat“ beschreibt, wer bleibt, wer geht, und was die gebürtigen Hunsrücker so alles in der Ferne anstellen.

„Mein Bruder Berthold lebt seit 1988 in Uruguay“, erzählt Walter Christ, der ältere. Er blieb, so wie seine Schwester Marianne und Werner, sein Vater, im Hunsrück. Mutter Anni starb zu früh. Werner Christ hat sich inzwischen fast ganz aus dem Familienbetrieb zurückgezogen, den er 1954 zusammen mit Anni gründete. Wäre er nicht mit 18 Jahren an Tuberkulose erkrankt und Schreiner geblieben, dann könnte das die Kurzbeschreibung einer typischen Hunsrücker Handwerkerfamilie sein.

Aber Gondershausen ist nicht Schabbach, sondern u.a. Sitz eines weltweit agierenden Unternehmens, das es inzwischen auf 25 Millionen Jahresumsatz gebracht hat. Es geht um Leder, vor allem aber um Lammfell. Christ fertigt die feinsten und leichtesten Lammfelljacken und Mäntel der Welt – und das schätzen die Kunden. „Etwa die Hälfte unserer Produkte verkaufen wir im Ausland“, erzählt Walter Christ. Er kümmert sich in Gondershausen um Verwaltung, Vertrieb und Produktmanagement. Die Produktion und der Einkauf der Felle und Häute liegen weitgehend in den Händen des jüngeren Bruders Berthold, im fernen San Jose, unweit der uruguayischen Hauptstadt Montevideo. Dort betreibt Christ seit den Achtzigerjahren eine eigene Gerberei und lässt die meisten der fast 50.000 jährlichen Kollektionsstücke dort auch nähen.

„Hier im Stammbetrieb beschäftigen wir uns vor allem mit der Produktentwicklung, dem Kundenservice und können schnell und flexibel fertigen, wenn eine Lücke entsteht“, erklärt Walter das Konzept. Außerdem ist Gondershausen weiterhin das Nadelöhr für alle Produkte, die aus Übersee eintreffen, und aus dem Hunsrück wieder in die Welt geschickt werden. „German Leather Fashion since 1954“ heißt es im Firmenlogo – neuerdings lieben besonders die Russen Christ; ein Partner betreibt dort seit der Wende zahlreiche Monomarken Geschäfte. Aber auch in Südamerika und Mexiko gilt die Marke als Luxuslabel – so wie im Mutterland.

Wenige Gehminuten entfernt von den modernen Produktionshallen kann man noch entdecken, wo alles anfing. In einer verlassenen Schreinerei stellte Werner Christ die erste Nähmaschine auf und fertigte Wetterschutzkleidung aus PVC – für Motorradfahrer. Verkauft wurde an der Haustür, ein typisches Direktmarketing auf dem Land. Es kamen Wettermäntel hinzu und weil man unterm Kunststoff schnell schwitzte, erfand der Gondershausener die „Elastik-Entlüftungseinlage“ zur besseren Ventilation. Als dann im aufziehenden Wirtschaftswunder das Auto dem Motorrad als täglichem Vehikel schnell den Garaus machte, begann man noch in den Fünfzigern mit erster Ledermode – und hatte Erfolg. „Wecri“ stand damals auf dem eingenähten Markenzeichen. 1961 verabschiedete man sich endgültig von Motorrad und Wetterschutz.

Der Leder- und Lammfellboom in der Mode der Siebziger tat ein Übriges – und heizte Nachfrage und erste Importe an, aus Spanien und der Türkei. „Wir haben es auch einmal ganz kurz versucht mit fremder Ware, aber die wurde unsere Qualitätsansprüchen nicht gerecht“, sagt der Sohn Walter Christ. Die höheren Arbeitskosten hierzulande hatten ein ganzes traditionelles Gewerbe an den Abgrund gebracht. Deutsche Lederwaren, Made in Germany, das war einmal. Zum Glück erkannte der gelernte Schreiner Werner Christ, dass man die Globalisierung auch nutzen kann, und zwar mit einem entfernten Standort, aber nach gleichen Qualitätsmaßstäben.

Es klingt ein bisschen wie aus dem ökonomischen Lehrbuch – weil es funktionierte. Während in Gondershausen nur noch ein Bruchteil der alten Belegschaft die Felle nach Farbtönen sortiert und von Hand zuschneidet, arbeiten in Uruguay inzwischen über 400 Menschen für Christ. „Wir müssen nicht moderner sein als der letzte Schrei aus Paris oder Mailand“, lautet das Credo von Walter Christ, wenn er zusammen mit der Chefin der Modellabteilung, Monika Kramer, an den neusten Entwürfen feilt. „Ich habe selbst klassische Schnitttechnik gelernt“, erzählt der 54-jährige Hunsrücker, „allerdings noch mit Papier und Bleistift.“ Eine gewisse Klassik ist ihm wichtiger als schnelle Avantgarde – schließlich kauft man einen „Christ“ für Jahre des Gebrauchs, und da gehört Zeitlosigkeit zum Geschäft.

„Die Entscheidung für die eigene Gerberei hat uns qualitativ weit nach oben gebracht“, glaubt der Lammfellspezialist. Stolz ist man auf die Umweltauszeichnungen der UNESCO; noch bevor die Gerberei loslegte, baute man in San Jose ein Klärwerk für das viele Wasser, das man beim Gerben braucht – natürlich nach deutschen Standards. Gleichzeitig machte man sich unabhängig von Zulieferern und weiß nun genau, was man vernäht. Diese Transparenz geht heute soweit, dass jedes einzelne Lammfell, jedes Leder vermessen wird und einem eigenen Barcode erhält. Eine einzige Lammfelljacke besteht immerhin aus zirka 55 einzelnen Babylammfellen, jeder Mantel verbraucht noch mehr der ursprünglichen, ungeschorenen Häute. „Ein gewisser Prozentsatz der neu geborenen Lämmer stirbt nach wenigen Tagen in der extensiven Weidewirtschaft, wie sie in Uruguay, Australien und Neuseeland betrieben wird“, erklärt Christ. „Die Hirten trocknen die Felle dann auf Zäunen und wir suchen uns die besten zusammen.“ ...
 

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Einblicke in eine Manufaktur. Auch wenn die meisten Stücke der Kollektion heute in Uruguay geschneidert werden – im Hunsrück fing alles an. Die meisten Mitarbeiter haben langjährige Erfahrung, zum Beispiel beim schnellen Sortieren der Häute nach Farbnuancen. Schablonen helfen dabei, mit der Hand zu schneiden, damit aus vielen einzelnen Häuten eine Jacke und ein Mantel entstehen. Zum Einsatz kommen auch Maschinen aus dem Kürschnerhandwerk. Zum Beispiel, wenn Lammfelle ohne Überlappen direkt aneinander genäht werden. Diese Kürschnernaht verrät später die Klasse von Christ.
 

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Zusammenfassung aus der "Living 05/2008" - Sie möchten die ganze Zeitschrift lesen? Kontaktieren Sie uns gerne >>HIER!

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