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Heidehirten

von Dina von Boch - 14 Nov, 2018

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Seit über 80 Jahren werden in dem kleinen norddeutschen Dorf Brockel Krippenfiguren 
aus Lindenholz geschnitzt und bemalt – sie sind das Lebenswerk der Künstlerin 
Lotte Sievers-Hahn

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Auf der Suche nach handgeschnitzten Krippenfiguren drängen sich unweigerlich Bilder von Schnitzwerkstätten in den Bergen auf. Der Wegweiser zeigt ganz deutlich nach Tirol, der Heimat von Holzdrechslern und Meisterschnitzern seit Jahrhunderten. Dort wird in still verschneiten Alpentälern noch das alte Handwerk der Schnitzkunst lebendig gehalten. Bärtige Männer an grob gezimmerten Werkbänken stellt man sich vor, die mit geschickten Händen an Heiligenstatuen, Kruzifixen und Krippenfiguren arbeiten. Die Holzschnitz- und Spielzeugwerkstatt von Lotte Sievers-Hahn passt nicht in dieses nostalgisch verklärte Bild. Weit im Norden, im niedersächsischen Dorf Brockel, gibt es weder Tal noch Berg. Topfeben ist es in den Niederungen des Flusses Wümme. Kältedunstige Nebel liegen an diesem späten Herbsttag über der weiten Landschaft. Am Straßenrand bieten Bauernhöfe Heidekartoffeln und Eier zum Verkauf an. Der Betrieb von Lotte Sievers-Hahn mag in diesem bäuerlichen Umfeld überraschen, aber er gehört seit der Gründung im Jahre 1929 hierher. Gerd Sievers, der Sohn der Firmengründerin, bittet im Ausstellungsraum zum Tee und um Gehör. Heiß dampft es aus russischen Lomonossow-Tassen. Der Gast ist geneigt aufzuspringen und die vielen Holzfiguren in den Glasvitrinen in beinahe kindlicher Verzückung zu betrachten. Nur kurz eine der Kasperlfiguren über die Hand stülpen und für einen nostalgischen Moment eintauchen in längst vergessene Fantasiegeschichten aus der Kinderzeit. Die einsetzende Stimme von Gerd Sievers beendet das gedankliche Puppentheater. Lächelnd beginnt er die Geschichte seiner Mutter zu erzählen, Lottes Geschichte. Eine Biografie, die für viele Anekdoten und für eine Menge Geschichten gut ist. Nach der Überwindung einiger Hürden sei sie 1927 als erste Frau an der Spielwarenschule Grünhainichen im Erzgebirge aufgenommen worden. „Unter dem damaligen Professor Seifert lernte sie zeichnen, drechseln und schnitzen“, ergänzt er und breitet gleichzeitig einen Stapel vergilbter Blätter mit Tierstudien auf dem Tisch aus. Diese frühen Zeichnungen der Künstlerin dokumentieren zweifellos eine große Begabung. Bei einer weiteren Tasse Tee berichtet Sievers noch dies und das den künstlerischen Werdegang seiner Mutter betreffend. Schildert den schnellen Weg in die Selbstständigkeit, beschreibt die ersten zaghaften Kundenkontakte in Hamburg und die Reisen zur Spielzeugwarenmesse nach Nürnberg. 
Es sei ihr stets ein Ruf vorausgeeilt, nur beste handwerkliche Qualität zu liefern. Überall, wo sie auftauchte, konnte sie auf eine positive Resonanz und noch viel wichtiger, auf gute Aufträge hoffen. Auf die Frage nach dem typischen Stil ihrer Figuren antwortet er beim Hinausgehen ins angrenzende Holzlager: „Schlicht sind sie, sehr schlicht, aber das macht sie so unverwechselbar schön!“ Lotte Sievers-Hahn war bis ins hohe Alter für die Manufaktur tätig. Ihr künstlerisches Erbe sind die Originalentwürfe in den Archiven, nach denen bis heute etwa 400 Figuren produziert werden. Die Tweedjacke zuknöpfend geht Gerd Sievers schnellen Schrittes über den Hof, um mit beiden Händen ein schweres Holztor polternd beiseite zu schieben. Weiches Herbstlicht fällt in den hohen Raum und ermöglicht einen Blick auf die hölzerne Schatzkammer des Betriebes. Vom Boden bis zur Decke lagert hier das Holz. Nicht irgendein Holz. Es ist das Holz von der Sommer- und der Winterlinde, der begehrte Werkstoff der Schnitzer, Drechsler und Bildhauer. Aus dem weichen Holz mit der feinen Maserung lassen sich Meisterwerke schaffen. „Vier Jahre lang muss der norddeutsche Wind durch die Bretter hindurch pfeifen. Erst danach ist es in der Werkstatt zu gebrauchen“, erklärt er und versetzt dem Tor einen kräftigen Stoß, um es zu schließen.Draußen bricht rosastichig die Dämmerung herein, drinnen in der Werkstatt sorgen helle Neonröhren für ausreichend Licht. Es riecht intensiv nach einer Mischung aus Holz, 
Farben und Leim. Heike Simritzky ist Schnitzerin. Schon als junges Mädchen ist sie in die Fußstapfen ihrer Mutter und ihrer Tante getreten, die ebenfalls dieses alte Handwerk über viele Jahre ausübten. „Von meiner Tante habe ich das Schnitzen der Tiere übernommen. Sie war es, die mir alles beigebracht hat“, sagt die 49-Jährige. Vor ihr auf einem Tisch liegen grob maschinell ausgesägte Holzrohlinge und eine Auswahl an verschiedenen Schnitzmessern. Der Boden unter ihren Füßen ist voller Späne und widerspiegelt die Tagesarbeit ihrer kräftigen Hände. Aus festem Leder ist der Schutz, den sie über den Daumen zieht. Aber die Messer sind scharf und trotz aller Erfahrungen und Vorsichtsmaßnahmen gehören kleine Verletzungen zum 
Arbeitsalltag dazu. Heute schnitzt sie junge Lämmer für die Krippe. Auf die Frage, worauf es denn beim Schnitzhandwerk ankäme, antwortet sie prompt: „Geduld ist wichtig und das genau dosierte Einsetzen von Kraft!“ Wer die Handwerkerin eine Weile beobachtet, wie zielgerichtet sie die Kerbungen an den richtigen Stellen des Holzes setzt, versteht, was sie damit meint. Hier stimmt die Dosis! Die ungewohnte Aufmerksamkeit, die ihr durch die Gäste zuteilwird, macht sie ein wenig verlegen. Aber es bereitet ihr auch Spaß, die Arbeitstechnik den staunenden Laien zu erklären: „Für jeden Arbeitsvorgang brauche ich ein anderes Messer. Hier zum Beispiel für die winzigen Ohren des Schafes muss ich ein besonders spitzes verwenden.“ Sie vertieft sich erneut in ihre präzise Arbeit. Nach einer halben Stunde ist aus dem Rohling ein graziles Schaf geworden. Noch ein letzter prüfender Blick und schon greift sie nach dem nächsten zu bearbeitenden Holzstück. Nur noch zwei Schnitzerinnen arbeiten in dem niedersächsischen Betrieb. Für das klassische Handwerk, das sehr viel künstlerisches Geschick erfordert, begeistern sich nur noch wenige junge Leute aus der niedersächsischen Region. 
Es fehlt dringend an Nachwuchs.
 

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Es ist Zeit für Nussknacker und Co. Baumschmuck aus Holz kommt einfach nie aus der Mode. Auch die traditionellen Motive wie Schaukelpferd und Nussknacker sind wahre Dauerbrenner, denn sie sind die ideale Ergänzung zu leuchtenden Kugeln und Kerzen.
 

Unmittelbar nach der Wende reiste Gerd Sievers in Richtung Osten. Die traditionellen hölzernen Lichterengel und Bergmänner vor Augen suchte er nach den Meistern der althergebrachten Volksschnitzkunst. Heute wären die vielen Aufträge vor Weihnachten ohne die Zulieferungen der Schnitzer aus Thüringen, dem Erzgebirge und der Slowakei nicht zu 
bewältigen. Den Veränderungen des heimischen Arbeitsmarktes Rechnung tragend und um ein Überleben des Familienbetriebes in Brockel zu garantieren, gründete Gerd Sievers vor zehn Jahren eine Tochterfirma im Nordwesten der Slowakei. „Die slowakische Dependance war ein wichtiger Schritt in die Zukunft. Es ist kaum zu glauben, aber dort gibt es noch 100 Schnitzschulen“, berichtet der grauhaarige Firmenchef begeistert. In Žilina sind heute 44 Mitarbeiter für die Schnitzwerkstatt Lotte Sievers-Hahn beschäftigt. Das Motorengeräusch der Dekupiersägen ist in Brockel längst verstummt, das Sägen der Rohlinge übernehmen heute die slowakischen Kollegen. Zum Niederknien schön sind die Krippenfiguren, die Hatice Göz in der norddeutschen Manufaktur bemalt. Nach einem stets wiederkehrenden Ritual mischt sie den 
Blauton für das Gewand der Jungfrau Maria. Die Farbe muss so beschaffen sein, dass die Holzmaserung noch leicht durchschimmert. „Ich vermische Pariser Blau mit etwas Titanweiß und Schwarz, füge noch etwas Leinfirnis und nur wenig Terpentinöl hinzu“, kommentiert die Malerin ihre soeben fertiggestellte Mischung. Scheinbar traumwandlerisch trifft sie genau die richtige Farbnuance. Auch die perfekte Viskosität, 
d.h. das Maß für die Zähflüssigkeit der Farbe, gelingt ihr 
auf Anhieb ...
 

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Im Atelier stehen ein großes Sortiment an Künstlerölfarben und eine Auswahl an Pinseln. Die Pinsel aus Baummarder- oder Rotfuchshaar eignen sich zum präzisen Malen am besten. Die knieenden Hirten sind perfekt bemalt und warten in den Regalen darauf, verschickt zu werden.
 

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Zusammenfassung aus der "Living 06/2011" - Sie möchten die ganze Zeitschrift lesen? Kontaktieren Sie uns gerne >>HIER!

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